Writing Prompt – noch nie davon gehört?! Ich bis vor Kurzem auch nicht. Zum ersten Mal ist mir der Begriff vor einigen Wochen in einem Facebook-Post untergekommen. Hm, wie der Name sagt, wird es hier wohl ums Schreiben gehen – interessiert mich nicht. Ich schreibe so viel den ganzen Tag für Blog & Co., meine kreativen Energiereserven muss ich darauf konzentrieren. Außerdem mag ich nicht auf Knopfdruck schreiben, weder zeitlich noch thematisch. Und ob was Ordentliches dabei rauskommen würde, ist ohnehin höchst fraglich.
Vor einigen Tagen dann: ein neuer Post, gleiches Prinzip, anderes Thema… Hinter mir raschelt es. „Ja hallo Muse, wo kommst du denn auf einmal her?“ Igitt, ein dicker, feuchter Kuss auf meine Wange. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr, also ran an die Tasten… 🙂
Was ist ein Writing Prompt?
Wörtlich ins Deutsche übersetzen könnte man „Writing Prompt“ mit „Schreibaufforderung“ – was selbstverständlich nicht annähernd so cool klingt. 😉 Es geht um das Erfüllen einer Schreibübung zu einem bestimmten Thema, die auf eine bestimmte Art und Weise umgesetzt werden soll. Sie soll Neugier erzeugen und unser Vorstellungsvermögen und Kreativität in „schriftstellerische Bahnen“ lenken. Oft ist neben der reinen Aufgabenstellung auch ein Feedback wesentlicher und abschließender Teil eines Writing Prompts.
Das Thema
Der Monat Juli 2020 im Writing Prompt der Facebook-Gruppe „Gemeinsam Lesen“ steht ganz im Zeichen der Charakterentwicklung. Der Hauptcharakter ist Herz und Seele der Geschichte, der Autor/die Autorin sollte ihn daher gut kennen.
Das Stichwort:
Die konkrete Aufgabe besteht nun darin, den Mitgliedern der Gruppe einen Charakter, der diese Vorgabe erfüllt, näher zu bringen. Dabei helfen Zusatzfragen, auf die man im Text Bezug nehmen kann, aber nicht muss: Wer ist sie? Wie alt ist sie? Was hat sie erlebt und was sind ihre weiteren Ziele? Wie ist sie aufgewachsen? Was hat dazu geführt, dass sie nun so ist? Was sind ihre Ziele, Träume, Wünsche? Welche Hobbys und Vorlieben hat sie? Wird ihr bewusst, inwieweit sie sich verändert hat und wenn ja, wie äußert sich das?
Die Erzählperspektive ist frei: Entweder darf der Charakter selbst zu Wort kommen oder jemand ihm nahe stehendes erzählt die Geschichte in der dritten Person.
Natürlich lässt schon die Vorgabe erahnen, dass wir es mit vielen düsteren, bösen Geschichten zu tun bekommen werden – genau meine Welt. 🙂
Das Ergebnis
Seid ihr neugierig auf das Ergebnis? Dann darf ich euch jetzt ganz stolz meine geistigen Ergüsse zum ersten Writing Prompt meines Lebens präsentieren 🙂 (Achtung, Triggerwarnung an alle empfindlichen Mamas und Papas!):
***
Es schreit – jeden Tag, jede Nacht, jede Minute. Ohne Unterbrechung, ohne Erbarmen und vor allem ohne erkennbaren Grund. Ich füttere, wickle und singe ohne Unterlass bescheuerte Schlaflieder, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnern kann. Ich erledige das alles wie ein Roboter, bin die Maschine „Mutter“, die man von mir erwartet zu sein. Dankbarkeit erwarte ich keine, nur eine kleine Verschnaufpause, einen Moment für mich selbst, so winzig dieser auch sein mag. Doch das lässt es nicht zu. Es schreit. Und schreit. Und schreit. Und selbst wenn es sich kurz für einen Moment unterbricht, um wieder zu Atem für eine neue Tirade zu kommen, hallt das Gebrüll in meinem Gehirn nach wie der ungeliebte Ohrwurm eines alten Schlagers. Marmor, Stein und Eisen bricht…
Drei Jahre haben wir es probiert mit dem Nachwuchs und waren schon kurz davor, unseren Kinderwunsch zu begraben. Wir waren unfassbar glücklich, als es doch endlich geklappt hat. Ich war eine dieser werdenden Mütter, die ihre Schwangerschaft in die Welt hinaus strahlen – keine Übelkeit, keine unreine Haut, kein Wasser in den Füßen. Einfach nur das personifizierte Glück.
Wir waren auf alles vorbereitet. Aber nicht darauf. Es gibt ein Wort dafür: „Unstillbares Schreien“ nennen es die Fachleute. Eine wissenschaftliche Erklärung gibt es dagegen keine. Dennoch verbringe ich meine schlaflosen Stunden mit der Suche nach dem Grund. Was mache ich falsch? Wofür soll ich bestraft werden? Womit habe ich das verdient?
Marmor, Stein und Eisen bricht… Ich beginne zu summen, um das Geschrei, das sich schon wieder tief in mein Gehirn zu bohren und sich dort einzunisten droht, mit dem Ohrwurm eines Songs zu übertönen. Es funktioniert nicht, ergibt nur eine verworrene Mischung verschiedener Tonabfolgen, wie wenn in zwei benachbarten Räumen zwei unterschiedliche Radiosender laufen. Unerträglich. Es ist offensichtlich, dass einer der Radiosender abgestellt werden muss. Und es ist ganz leicht. Meine Hände merken kaum einen Widerstand, als sein Genick bricht – leichter als Marmor, leichter als Stein, leichter als Eisen.
Und ich bin wieder ich – das personifizierte Glück.
***
Meine Gedanken
In Bezug auf diese spezielle Übung habe nicht das Gefühl, dass ich das Thema wirklich gut getroffen habe, da sich meine Charakter“entwicklung“ nur über einen kurzen Zeitraum erstreckt und die in der Aufgabenstellung doch deutlich hervorgehobene Kindheit völlig außer acht lässt. Außerdem bezweifle ich, wenn ich jetzt im Nachhinein darüber nachdenke, dass man einem Baby mit bloßen Händen das Genick brechen kann. Aber aus einem unerfindlichen Grund ist es mir irgendwie unangenehm, weiter zu diesem Aspekt zu googlen und ich verbuche ihn einfach mal unter „künstlerischer Freiheit“. 😉
Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass es beim Writing Prompt nicht im Wesentlichen darum geht, sich stur an alle Vorgaben zu halten und einen wissenschaftlich einwandfrei recherchierten Text zu erschaffen. Und letztendlich bin ich auch an dieser Stelle nicht um eine abschließende Ausrede verlegen: Ich hatte einfach keinen Einfluss darauf, in welche Richtung mich die Muse tragen würde, die mich so widerlich geküsst hat. 😉
Von meinen Mitstreiter/innen habe ich sehr nettes Feedback bekommen, worüber ich mich natürlich am allermeisten freue. Es war aber auch spannend zu lesen, wie die anderen die Aufgabe für sich selbst interpretiert und umgesetzt haben – von der Leiche in der Kühltruhe misshandelter Ehefrauen über passionierte Jägerinnen von (ausschließlich???) Tieren bis hin zu einer Geschichte, in der am Ende konsequent einfach überhaupt keiner überlebt, war alles dabei.
Mein Fazit
Die allgemeinen Tipps zu Writing Prompts sind eindeutig: Warte nicht schon im Vorhinein auf Inspiration, lass dich während deinen Schreibprozesses inspirieren. Du brauchst nicht „in Stimmung“ zu sein, lass deine momentane Gemütslage einfach in deinen Text einfließen. Mir ist es dieses Mal leicht gefallen – aber die Aufgabe HAT mich inspiriert und ich WAR in Stimmung. Ich bin mir nicht sicher, ob ich unter anderen Umständen ein Ergebnis erzielen würde, mit dem ich zufrieden bin. Aber ich lasse es auf jeden Fall auf einen weiteren Versuch ankommen. 🙂
***
Habt ihr bereits an einem Writing Prompt teilgenommen oder werdet sogar regelmäßig schriftstellerisch kreativ? Dann bin ich natürlich neugierig auf eure Erfahrungsberichte in den Kommentaren. Wenn ihr Lust habt, euch einmal in diese Richtung auszuprobieren: Der Writing Prompt der Facebook-Gruppe „Gemeinsam Lesen“ findet monatlich zu verschiedenen Themen und in variierender Form statt, organisiert und betreut von der lieben Jennifer May. Schaut doch gleich mal hier vorbei! 🙂