„Old but Gold!“ – Als vermeintlich nicht gut genug von Stephen King höchstpersönlich in den Mülleimer verfrachtet, wurde „Carrie“ Anfang der 1970er Jahre von seiner Frau Tabitha gerettet und bildete schließlich den Auftakt einer wirklich grandiosen Schriftsteller-Karriere. Auf die Frage von King-Neulingen, mit welchem seiner Werke man denn am besten anfangen sollte, ist „Carrie“ grundsätzlich meine Standardantwort. Im Vergleich zu manch anderem King-Wälzer kann man sich hier auf wenigen Seiten ein Bild von seinem Stil machen, ohne von einer Flut an agierenden Personen oder manchmal etwas verwirrenden Zeitsprüngen, die der Autor so gerne in seine Geschichten einbaut, völlig erschlagen zu werden. Ein perfektes Buch zum Herantasten an den Meister des Horrors!
Originaltitel: „Carrie“
Verlag: Bastei Lübbe (3. Auflage, 1988)
Erscheinungsjahr: 1974
Seitenzahl: 233
Reihe: –
Inhalt
Die 16-jährige Carrie White hat es in ihrem Leben doppelt schwer: Zu Hause herrscht ihre fanatisch-religiöse Mutter mit eiserner Hand, in der Schule ist Carrie ein beliebtes Opfer geschmackloser Streiche. Doch in ihr schlummert von klein auf ein Talent, das nur darauf wartet, perfektioniert zu werden. Carrie besitzt mysteriöse telekinetische Fähigkeiten und kann Menschen und Gegenstände mit der Kraft ihrer Gedanken bewegen und beeinflussen. Als die Demütigungen durch ihre Mitschüler/innen auf dem Abschlussball ihren Höhepunkt erreichen, kommt es schließlich zum Showdown: Carrie schlägt zurück.
Meine Gedanken
Im Wesentlichen wird in „Carrie“ deren ganz persönliche Geschichte erzählt und wie es zu den schrecklichen Ereignissen auf dem Schulball kommen konnte. Unterstützt wird dieser Erzählteil durch verschiedene Zeitungsartikel und Meldungen aus besagter Nacht, Interviews mit Überlebenden und Berichten einer Untersuchungskommission, die sich seit dem Ereignis mit dem Fall White beschäftigt. Daraus resultiert, dass man als Leser bereits ziemlich am Anfang des Buches eine Vorstellung davon bekommt, welches Ende das Ganze nehmen wird. Durch die Interviews erfährt man, wer überlebt und kann erahnen, wer eher nicht. Man mag denken, damit sei die Geschichte bereits erzählt, das Ende gespoilert, Fall erledigt. Aber keine Sorge, diese Tatsache hält Stephen King nicht davon ab, dennoch eine spannende und mitreißende Story daraus zu machen.
Carrie als Schlüsselfigur ist authentisch und glaubwürdig. Sie ist genial gezeichnet, sodass man als Leser an so mancher Stelle hin und her gerissen ist: Auf der einen Seite empfindet man Mitleid und Empathie für das misshandelte Mädchen, dann wiederum wirkt sie unnahbar und plump, sodass man sich eingestehen muss, dass man selbst wohl am liebsten auch nicht allzu viel mit ihr zu tun haben wollen würde. Wäre man vielleicht selbst eine passive Mitläuferin wie Sue Snell? Oder wäre man gar aggressiv-dominant wie Chris Hargensen?
Das Buch behandelt ein aktuelles Thema wie Mobbing in einer Zeit, in der dieser Begriff noch gar nicht wirklich gängig gewesen ist. Gemischt mit einer guten Portion Coming-of-age, beängstigendem Gotteswahn und einem kleinen übernatürlichen Sahnehäubchen, kann einen „Carrie“ – auch nach 26 Jahren – wirklich das Fürchten lehren.
Fazit
Ein zeitloser Klassiker aus der Horror-Literatur der 1970er Jahre – und gleichzeitig eine Geschichte, an der kein Stephen-King-Fan vorbei kommt!
Eine Frage an das Buch: Telekinese – Was können Gedanken wirklich bewirken?
Immer wieder berichten Menschen von Erlebnissen, die telepathische oder telekinetische Fähigkeiten belegen sollen, auch einige parapsychologische Studien sollten entsprechende Ergebnisse liefern. Wirklich wissenschaftlich belegt sind derartige Phänomene allerdings nicht, weswegen es Telekinese und einige weitere verwandte Felder über den Status einer Pseudowissenschaft bis heute nicht hinaus geschafft haben.
Aber in Büchern ist ja zum Glück immer alles möglich. 🙂 Daher ist die Telekinese kein unbeliebtes Thema in der Spannungsliteratur. Allen Interessierten unter euch sei Andreas Eschbachs „Die seltene Gabe“ ans Herz gelegt oder – wenn ihr das King-Universum noch nicht verlassen wollt – „Der Sturm des Jahrhunderts“, in dem ein Mörder vom Gefängnis aus allein durch die Kraft seiner Gedanken eine Kleinstadt terrorisiert.